Der Wunsch von einem gelungenden Abschied.

Der Wunsch von einem gelungenden Abschied.

Der Wunsch von einem gelungenen Abschied.

Die Beerdigung stellt das Abschlussritual eines Übergangs dar, der mit dem Tod beginnt oder sogar schon davor. Die Urnenbeisetzung ist das Ende dieses Übergangs vom Leben zum Tod. Nun ist der Körper verbrannt oder wird der Erde zurückgegeben. Jetzt beginnt die Trauerphase. Ein Mensch ist gestorben. Wir nehmen Abschied und geben seinen Körper der Erde zurück. Das ist ein schmerzhafter Prozess des Loslassens, des Abschiednehmens.

Die Beerdigung wird heute oft mit der Urnenbeisetzung gleich gesetzt. An diesem Tag will man Abschied nehmen von dem Verstorbenen. Dazu wird in vielen Fällen eine kleine Zeremonie von einer Stunde auf dem Friedhof, ggf. in der Kapelle veranstaltet. Musik, die der Verstorbene gern hörte oder die dem Anlass gerecht wird, ist eingebunden in einen festlichen Akt, der gekrönt wird, von einer Rede zu Ehren des Verstorben. Beendet wird diese Zeremonie mit der Verabschiedung am Urnengrab, nach dem letzten Gang  sowie der Versenkung der Urne in der Erde. Bei der Erdbestattung, meist im religiös katholischen Kontext hält der Pfarrer eine Rede, deren Inhalt ebenso die Würdigung des Verstorbenen ausspricht aber gleichzeitig um Aufnahme des Verstobenen zu Gott sowie um Vergebung von Sünden bittet.

Heute nun, bei einem Gespräch mit dem Bestatter wurde meine eigene Wahrnehmung deutlich gestärkt. Er erzählte mir, dass viele Hinterbliebene die Urnenbeisetzung nicht wirklich als Abschied empfinden, der Bezug zum lieben Verstorbenen fehlt. Ich selbst habe in meiner Arbeit als Trauerrednerin diese Erfahrung mehrfach machen müssen.

Eine in Blumen gekränzte Urne, reichlich geschmückt steht im Mittelpunkt der kleinen Kapelle, etwas erhöht, sodass das Auge leicht darauf ausruhen kann. Die bunten satten Blumen erleichtern den Anblick und versuchen die Seele zu öffnen, für jenseitige Wirklichkeit. Davor unendlich schöne Blumenkränze, Gestecke, Rosen, Lilien, Chrysantemen, Flieder, Tulpen, je nach Jahreszeit arrangiert. Jede Hochzeit, jede Taufe wird blass im Blütenlichte einer Beerdigung. Blumen sollen die Mittler zwischen den Welten sein, Kränze symbolisieren die Ganzheit des Lebens.

Dahinter steht das Stativ mit dem Bild des  lieben Verstorbenen, Botschaft aus  frohen  Zeiten. Lächelnd blickt er oder sie hinunter zu den trauernden Gästen. Ein Foto, welches die Gedanken zu guten Tagen lenken soll, zu Tagen als das Leben noch in Ordnung war. Wie gern würden wir die Zeit anhalten, zurück drehen. Wie gern hängt sich unser Geist an dem schönen Bild fest. Wie weh tut die Vorstellung: ‚Du bist weg und nichts bringt dich zurück.‘  Schnell flüchten wir aus diesem Gedanken.  Oder können wir es gar –nicht –begreifen? Ich denke oft, dass es so ist. Das Begreifen des Todes hat etwas mit dem Angreifen, mit dem Erleben, konkret und direkt zu tun. Doch davor fürchten wir uns allzu sehr. Tief versunken hören die Hinterbliebenen der Rede zu, die ich vortrage. Eine Verehrung, eine Würdigung des Lebens eines Menschen, der nicht mehr auf dieser Welt weilt. An einigen Stellen sehe ich nickende Köpfe, gemeinsame Erinnerungen werden berührt,  ein Lächeln auf dem Gesicht. Andere tupfen sich die nassen Augen aus, wohl wissend, deutlich den eigenen Schmerz des Verlustes spürend.

Doch auch jetzt rede ich über… Maria, Erwin, Kurt oder Dietmar. Doch wo sind sie? Diese lieben Menschen, die heute in ein Licht gestellt werden, wie es manchem im gesamten Leben nicht zu Teil wurde. In der Urne dort? Zwischen den vielen Blumen? Nein, unmöglich. Hier im Raum, vielleicht schwebend unsichtbar unter uns? Möglich, aber es fehlt der Zugang. Oder einfach weg, so im NICHTS, wie es unser Gesellschaftsparadigma uns erzählt? Ja gefühlt trifft das am meisten zu. Nichts! Die Verbindung ist scheinbar gerissen, abgebrochen, hat sich aufgelöst.

Aber wie soll ich mich verabschieden, wenn da NICHTS mehr ist? Wem soll ich meine lieben Gedanken schicken? Wem soll ich meine Dankbarkeit für all die schönen Erlebnisse senden?  Die Verbindung zum Verstorbenen ist tot! Nicht der Verstorbene ist tot! Das können wir nicht wissen. Aber wir haben den Faden verloren. Der rote Faden durch die Ahnenreihe ist an dieser Stelle schon gerissen.

Was ist passiert?

Alles beginnt schon vor dem Tod. Es beginnt mit der Ignoranz des Todes. Wir wollen ihn nicht wahrhaben, wir wollen nichts von ihm hören, ihn nicht sehen, geschweige denn, ihn zu berühren.

Aber der Tod lässt sich nicht ignorieren. Der Tod fordert Aufmerksamkeit, Zeit und  Zuwendung. Er ist Teil unseres Lebens, ein großer Teil. Und dort wo er nicht gemocht wird, wartet er geduldig auf den richtigen Moment, um  seine Gaben dem Leben anzubieten. Oft kommt er als Befreier oder als Erlöser, nämlich dann, wenn das Leben nicht mehr lebenswert, unwürdig oder zu schmerzhaft geworden ist. Manchmal holt er uns mitten aus dem Leben heraus. Dann sind wir so erschrocken, spachlos, gar traumatisiert. Das kann den Rest unseres Lebens andauern. Aber wieso? Weil wir in einer Zeit des Festhaltens leben. In einer Zeit wo Loslassen keine Bedeutung mehr hat. „Nehmen“ ist das Wort der Gesellschaft nicht „Geben“. Und wenn schon geben, dann doch bitte nur das was ich im Überfluss habe oder was ich selbst nicht mehr brauche. Meine, Meine, Meine, alles Meine, Haus, Hof, Geld, Arbeit, Familie, Kinder usw. usw.

Uns so muss der Tod uns allen ein Dorn im Auge sein, denn er ist es, der nimmt. Nicht nur den Partner, sondern auch die bunten Blumen des Sommers, die glänzende Karosse des neuen Autos und den wunderbaren Abend in der Oper. All das müssen wir loslassen. Aber das ist kein Problem, denn wir haben ja Ressourcen und legen nach. Ein neues Auto, neue Blumen aus dem Baumarkt, Erdbeeren im Winter und Musik, die kann man streamen,  täglich, Versicherungen  gegen alles und jeden.  Auch Lebensversicherungen, gegen den Tod. Wir tricksen den Tod aus, wir lachen ihn aus, ja wir verhöhnen ihn. Und er, er wartet geduldig. Er wartet auf dich und er wartet auf mich.

Und auch dann, wenn er leise zu mir kommt und spricht: „Hallo du, deine Zeit ist bald abgelaufen. Komm mit mir in das andere Land. Ich will es dir zeigen, was es hinter all den materiellen Dingen noch so vieles Schönes gibt.“ Nein, das wollen wir nicht hören. Wir laufen zum Arzt und nehmen Tabletten gegen den Tod und er gibt uns Mittel für ein langes qualvolles Sterben.  Wir reden nicht über den Tod, sondern lügen uns gegenseitig lächelnd ins Gesicht: „Das wird schon wieder.“

Und genau hier verpassen wir einen wichtigen Teil des Lebens. Wir verpassen den guten Abschied. Wir verpassen überhaupt den Abschied. Wir verpassen es auch uns gemeinsam auf den Weg zu machen, zu sprechen über das Danach und eine gemeinsame Vision zu finden. Wir verpassen über unsere Ahnen zu sprechen, die schon dort sind und uns vielleicht empfangen, so wie wir Eltern unsere Kinder bei der Geburt empfangen. Wir verpassen Versöhnung, Segnung und gegenseitiges Verzeihen. Und vor allem verpassen wir es auch von dem Sterbenden zu lernen! Wie geht sterben? Was empfinde ich? Wovon träume ich? Wer begegnet mir,  wenn mein Geist sich langsam, jeden Tag mehr von dieser Welt entfernt?

Meine Erfahrung mit Sterbenden im Hospiz hat mir selbst viele wertvolle tiefe Einsichten vermittelt und mein Leben in vorher unvorstellbarer Weise gewandelt. Und diese Chance hat jeder Mensch, wenn er sich in seiner eigenen Familie auf das Abenteuer Tod einlässt.  Eine Gesellschaft ohne Tod ist eine Sinn entleerte Gesellschaft, eine Gesellschaft in Angst und Abhängigkeiten.

Ja und dann kommt der Tag des Übergangs. Unser lieber Angehöriger stirbt. Das Herz hört auf zu schlagen, der Atem erlischt.  Was nun? Der Griff zum Telefon,  Arzt,  dann der Bestatter, das ist der Ablauf. Die werden schon wissen, was jetzt zu tun ist. Der Bestatter kommt, nimmt meinen lieben Verwandten mit. Jetzt ist es leer. Besser als ein Toter im Raum. Das Gefühlschaos beginnt. Wir hätten es doch wissen müssen, sind nicht vorbereitet, und nun doch so schnell. Nichts ist erledigt, ah doch, der Vorsorgevertrag mit dem Bestatter. Gott sei Dank! Die Beerdigung ist gesichert. Was muss noch organisiert werden? Banken, Versicherungen, Urkunden, Einladungen zur Beerdigung, Gaststätte für Leichenschmaus, Bekanntgabe , Todesanzeige, und ach ja, die Rede. Alles wichtig, keine Frage. Aber wann kommt der Abschied? Bei der Beerdigung!? Bei der Urnenbeisetzung? !

Nein, da findet man den Abschied nicht. Da findet man traurige Menschen, die noch nicht zu Besinnung gekommen sind, wegen all der Geschäftstätigkeit der vergangenen Tage. Da findet man aber auch keinen aufgebahrten Verstorbenen mehr, denn dessen Körper wurde mittlerweile im Krematorium eingeäschert. Die blumenumkränzte Urne erreicht unser Blick. Darin die Asche. Für unseren Geist nicht zu begreifen. Der bindende Bogen fehlt. Der Abschied hat nicht stattgefunden. Eine Lücke ist entstanden, als der Bestatter ihn abgeholt oder die Botschaft uns aus dem Krankenhaus erreicht hat, wir aber zu spät kamen, der Leichnam schon im Kühlhaus deponiert war. Vielleicht hatten wir sogar noch die Chance, kurz nach dem Tod, doch wir sind gegangen, nach Hause, was sollten wir denn auch noch tun? Er war doch nun tot.

Diese Lücke kann unser Gedächtnis nicht schließen, denn was jetzt für uns sichtbar ist, die Urne, ist nicht der Mensch, den wir noch vor einer Woche gesehen haben.  Wie soll ich mich jetzt verabschieden? Ich hätte es vor einer Woche tun sollen, als er noch da war, sichtbar, berührbar, dort, in seinem eigenen Körper lag.  Aber wie? Ich hatte doch Angst.

Jetzt ist es zu spät. Und unsere Seele spürt das, trotz der überwältigenden lebendigen Blütenpracht und den hochfein gewählten Worten der Rednerin.

Später dann am Urnengrab, einen Blick im Rund und wir erkennen die Vergänglichkeit des Lebens. Vergangene Beerdigungen zeugen vom schnellen Abbau all der Pracht und Schönheit der Blumen und lassen unansehnliche braunbunt gefleckte, jetzt im Herbst triefend nasse unschöne Haufen welkenden Verfalls erkennen.

Ja, dieser Verfall des Lebens, davon habe ich nichts mit bekommen. Davor fürchtete ich mich so sehr, bei mir und bei unserem Verstorbenen.  Aber vielleicht hätte dieser Prozess mir den Abschied erleichtert, vielleicht hätte ich realisiert, was Tod bedeutet, wenn ich ihm gelauscht hätte, in den Nächten, als das Herz still stand und mein Liebster, ohne den gleichmäßigen Atemrhythmus des Lebens, neben mir weilte. Vielleicht hätte ich sogar die Seele bemerkt, die mir leise: „ Auf Wiedersehen“  zugehaucht hat.

Und es gäbe doch noch so viel zu sagen. All die unausgesprochenen Dinge, all die vielen Worte, die meinen Kopf in den Nächten martern, wo sollen die hin? Meine unerfüllten Erwartungen und Hoffnungen. All die Worte und Sätze, die ich nie gewagt hatte dir zu sagen. Unser letzter kleiner Streit; wie sinnlos, ich habe dir alles vergeben. Und meine Wut, dass du mich verlassen hast, meine Liebe, dass du für mich da warst, meine Dankbarkeit, über all das was ich von dir bekommen habe. Ich möchte es doch noch sagen, aussprechen. Ich möchte weinen, meinen Schmerz dir zeigen, dich noch einmal berühren und umarmen, wohl wissend, dass es das letzte Mal sein wird. Ich möchte dieses letzte Mal so gern mit dir teilen. Zusammen ein letztes Mal sein!  Und dann kann ich loslassen, weil meine Seele in dir Ruhe findet, so wie deine Seele ich mir Ruhe findet. Wenn ich doch nur diese Ruhe, diese gewaltig  tosende Ruhe ausgehalten hätte; noch ein paar Stunden länger.

Hilfe wäre gut gewesen. Jemand der uns beide, mich und auch meinen lieben Angehörigen begleitet hätte, der den Abschied von Herz zu Herz und von Seele zu Seele ermöglicht hätte. Jemand, der die Verbindung zwischen uns gehalten und gestärkt hätte und den Faden weiter gesponnen. Eine Lebens – und Todesspinnerin, eine Totenwäscherin, eine Sterbeamme.

Rituale des Abschieds:

Sterbebegleitung
Totenwache
Totenwäsche
Totenklage
Aussegnung
Sargkleidung nähen
Einbettung
Beerdigung

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