Das Schloss des Todes

GlockenspielDas Schloss des Todes

Ein armer Mann hatte viele Kinder und demnach auch viel Gevattersleute. Da schenkte ihm seine Frau in seinen alten Tagen noch ein Knäbchen. Er sprach: „Wüsste ich jetzt nur, wenn ich zu Gevatter bitten soll!“ Die Frau sprach: „Den ersten Besten, der dir vor der Tür auf der Landstraße begegnet.“ Da ging der Mann hinaus, es war noch ganz früh, so dass die Sonne mit ihm herauskam, und schritt auf der Landstraße auf und ab. Kam ein kleines greisgraues Männchen, das war gar freundlichen Aussehens und fragte den Mann: „Ei, warum schon so früh auf den Beinen?“ „Ich suche einen Gevatter zu meinem Kinde, wollt ihr mir vielleicht den Gefallen tun?“, fragte der Mann und das Männchen sagte: „Von Herzen gern, sagt mir nur, wann die Taufe ist?“ „Gleich morgen früh, wenn es euch geliebt.“ „Es ist gut, ich habe dann gerade Geschäfte im nächsten Ort und werde zur rechten Zeit bei euch sein.“ „Wie heißt ihr denn, Herr Gevatter?“ „Ich bin der Tod,“ antwortete das Männchen lächelnd, grüßte den armen Mann sehr freundlich und ging weiter. Am folgenden Morgen fand es sich zur rechten Stunde ein und hob das Kind aus der Taufe; dann sprach es: „Wenn das Kind 14 Jahre alt ist komme ich wieder und dann braucht ihr nicht weiter für dasselbe zu sorgen, im Gegenteil es wird für euch sorgen.“ Da freuten sich die Leute, dankten dem guten Tod und er nahm freundlichen Abschied von ihnen.

Als der Knabe vierzehn Jahre alt war, kam der gute Pate nahm in zu sich in den Wald und sprach: „Jetzt will ich dich zum geschicktesten Arzt in der Welt machen, mein liebes Patenkind, höre nur fleißig zu, was ich dir sage. Wenn du zu einem Kranken kommst und ich stehe zu Häupten des Bettes, dann sage dreist: ‚Hier ist keine Rettung.‘ Stehe ich aber am Fußende, dann mache einen Trank aus süßer Milch und drei Körnlein Salz und in Zeit von drei Tagen ist der Kranke wieder gesund.“ Der Junge dankte seinem guten Pathen und übte seine neue Kunst sehr eifrig, wurde hochberühmt und reich dazu. Als des Königs Tochter krank war, heilte er sich und bekam Gold, mehr als ein Pferd ziehen kann, und als er der Königin Tod vorhersagte und sie auch wirklich starb, da gab ihm der König doppelt so viel und heiratete acht Tage darauf eine andre.

Als er schon ein blühender Mann war und in seinen besten Jahren stand, kam er eines Tages durch den Wald, da begegnete ihm sein Pate und die Beiden gingen eine Strecke selbander (zu zweit) fort. An einem Kreuzweg sprach der Tod: „Ich gehe nach rechts, geht du nach links und es ist dein Glück; bald sehen wir uns wieder.“ „Wohin gehst du denn?“ fragte der Arzt. „Nach Hause, ich habe da zu tun,“ antwortete der Tod. „Da will ich mit dir gehen, lieber Pate,“ sprach der Arzt: „ich habe ja noch nie gesehen wo du wohnst.“ Der Tod wehrte ihm und bat ihm liebevoll, den anderen Weg einzuschlagen. Doch der Arzt ließ sich nicht abweisen und flehte den Tod so lange, bis dieser sprach: „Wohlan, du kannst mit mir gehen, bis an mein Schloss, aber nicht hinein.“ Sie kamen bald auf einen breiten, gar glatten und schönen Weg, der sich weithin in den Wald erstreckte; am Ende des selben stand ein schönes Schloss, daran waren alle Läden geschlossen. Als sie am Tore standen, sprach der Tod: „Jetzt lass es genug sein, lieber Sohn, kehre um; tue mir den Gefallen!“ Aber der Arzt war jetzt gerade erst neugierig geworden zu sehen, wie es in des Todes Schloss aussähe, und wie sehr der Tod auch bat, er möge jetzt zurückkehren, er bestand darauf, bis er hinein kam. Da waren alle Zimmer dunkel und voll Lichtchen, eins am anderen. „Was ist das?“ frug (fragte) der Arzt erstaunt und der Tod erwiederte: „Das sind die Lebenslichter der Menschen.“ „Ach lieber Pate, wo ist denn meines?“ fragte der Arzt und er Tod antwortete: „Danach frage nicht, das ist dir nicht gut zu wissen.“ Da ging es aber wiederrum wie vorher, der Arzt quälte ihn so lange, bis der gute Tod ihm ein ganz kleines Lichtchen zeigte, welches nicht weit vom Verlöschen war. „Nun gehst du mir aber und bleibst keinen Augenblick mehr,“ sprach der Tod ernst, „damit ich hier nicht mein Amt an dir üben muss;“ und er führte ihn rasch aus dem Schloss und in den Wald zurück.

Der Arzt eilte nach Hause und wurde noch am selben Abend ernstlich krank. Als er in der Nacht einmal erwachte, schaute er sich im Zimmer um, da stand der Tod zu Häupten seines Bettes. Da wandte er sich rasch in dem Bette um und steckte dem Tode die Beine entgegen. Ruhig ging der Tod an das andere Ende des Bettes, doch da wandte sich der Arzt abermals und trieb sein Spiel also fort bis gegen Morgen, so dass der Tod trotz all seiner Güte und Freundlichkeit dessen doch endlich müde wurde. „Mit dir einem hab ich mehr Not, als mit allen, die ich seit dem Vater Adam geholt habe,“ sprach er. „ Aber lass uns freundlich scheiden, sage mir , willst du heute noch leben, so gewähre ich es dir gern. „Nur noch ein Vater-Unser-lang,“ sagte der Arzt. „Das sei dir gewährt,“ sagte der Tod. Der Arzt begann: „Vater unser, der du bist- so und jetzt bete ich fünfzig Jahre lang daran.“ Da lachte der Tod und sprach: „Ich werde mich hüten, noch einen Doktor meine Kunst zu lehren.“

Johann Wilhelm Wolf, Hrsg. Deutsche Hausmärchen 1851 Göttingen, Leipzig