Perspektiven und Ansichten aus meiner Arbeit I

Perspektiven und Ansichten aus meiner Arbeit I

Perspektiven und Ansichten aus meiner Praxis

Hallo, ich möchte euch in diesem Blogbeitrag wieder einmal von meiner Arbeit und meinen Anliegen berichten.  Heute beginne ich über ein Ereignis zu erzählen, welches weit in meinem Leben zurück liegt aber dennoch einen großen Ausschlag gab, mich mit den Themen  Sterben – Tod – Jenseits zu beschäftigen. Es gibt viele Erlebnisse in meinem Leben, die das Thema Tod in einen Bereich rückten, der angesehen und gewürdigt werden will. Der Tod ist ein Tabuthema unserer Gesellschaft, doch das war nicht immer so. Heute haben viele Menschen Angst vor dem Tod und auch ich hatte Angst vor ihm, denn ich bin erst wieder bewusst durch meine Arbeit in Kontakt mit ihm gekommen. In meinem Leben habe ich versucht, ihn zu verdrängen. Das ging im Laufe der Jahre immer weniger und so entschied ich mich 2011 zu einer Hospizausbildung. Doch auch das war zu Beginn sehr theoretisch. Erst später besuchte ich dann in meiner ehrenamtlichen Hospiztätigkeit sterbende Menschen.  2012 kam es in meinem privaten Leben zu einem dramatischen Einschnitt und ich entschied mich nun auch den Schwerpunkt meiner psychologischen Praxis diesem Thema zu widmen und mich darauf zu spezialisieren.

Schon in meiner Kindheit wurde ich, so wie sicher viele von euch mit dem Thema Tod in der Familie konfrontiert.  Der erste Tod, den ich bewusst erlebte, war das Sterben meines Opas. Ich war damals 8 Jahre und erinnere mich noch genau an das Szenario. Mein Opa war lange Zeit schwer krank gewesen und schon Monate vor dem Tag seines Ablebens durfte ich als Enkeltochter nicht mehr in das Schlafzimmer meiner Großeltern, in dem mein Opa lag. Niemand wollte, dass ich das Dahinsiechen meines geliebten Opas miterleben sollte. Nur einmal gelang es mir, in das Zimmer hinein zu huschen und stand dann plötzlich an seinem Bett und sah ihn. Als er mich erblickte, freute er sich mich zu sehen. Ich aber war überrascht, denn er war schmal, blass und wirkte viel kleiner als früher, als wir noch zusammen spazieren gingen, dort um die große Linde und dann zum Anger, hinten zum Park.

Doch er nahm mich an die Hand und sagte zu mir: Puppchen, du bist mein Augenstern. Seine Stimme war schwach, aber er erkannte mich. Diese Worte hatte er immer gesagt zu mir, als ich noch klein und wir gemeinsam unterwegs  waren.  Und wenn er das sagte, dann hatte er meist eine Schachtel in seiner Tasche mit Erfrischungsstäbchen außen mit  Schokolade umhüllt. Damit hatte er mein kleines Herz bestochen und ich war ihm ganz verfallen ;).

Nun stand ich neben meinem Opa, der nicht mehr so stark, schön, groß und lustig war. Er war da, verletzlich, vor mir liegend, krank. Meine Oma kam herein, erschrocken, weil ich im Zimmer war. Sanft zog sie mich heraus, sprachlos. Erst draußen sagte sie leise zu mir: Dein Opa ist sehr krank. Das war alles. Ich glaube zu Weihnachten saß er dann nochmals im Wohnzimmersessel, dick in eine Decke eingehüllt, aber das weiß ich nur noch von Bildern, es gibt davon keine Erinnerungen an ihn und uns beide.

Und dann kam der 13. Januar. Das Licht im Wohnzimmer war gedämpft, ein reges hin-und her wechseln zwischen dem Schlaf- und Wohnzimmer durchbrach die drückende Stille des Raumes. Meine Eltern und meine Oma schienen angespannt, nervös und aufgebracht.  Es wurde nur geflüstert, obwohl der Opa im Nachbarraum lag. Ich erinnere mich sehr genau an diese Situation, kann die Spannung  noch spüren. Ich wusste nicht was hier passierte, ich nahm nur die Schwingungen des Ereignisses wahr. Es gab noch keine Worte für mich dafür. Nach einer gewissen Zeit kam meine Oma dann ins Wohnzimmer zurück  und weinte. Auch meine Mutter ging ins Nachbarzimmer und kam weinend wieder. Mein Vater weinte nicht. Ich saß irgendwo im Zimmer und beobachtete. Ich fragte nichts, sondern schaute nur zu. Dann klingelte es und der Arzt kam. Der saß dann am großen Wohnzimmertisch und schrieb, nachdem er auch im Nachbarzimmer gewesen war. Meine Oma und meine Mutter weinten immer noch. Mein Vater nicht. Mein Opa sei gestorben, sagte man mir. Ich begriff nicht, was das war: Mein Opa sei gestorben. Ich hörte es, aber ich verstand nicht was es bedeutete. Ich fühlte es nur, es war kalt und irgendwie grundtief traurig.

Und dann war er  weg, meine Opa, für immer. Mein Gefühl änderte sich. Worte hatte ich immer noch keine dafür. Aber dort wo monatelang mein lieber Opa war, nämlich hinter der verschlossenen Tür des Schlafzimmers, in das meine Oma so oft am Tag hinein und hinaus ging, dort war etwas passiert. Es war merkwürdig, aber es fühlte sich leer, dunkel und kalt an. Und als ich das nächste Mal in das Schlafzimmer meiner Oma blickte, vielleicht waren es ein paar Tage oder Wochen später, da war das Bett leer, dort wo mein Opa mir die Hand gehalten hatte. Aber dazwischen fehlte ein Stück Film. Ich hatte nicht erlebt, wie er aus diesem Bett weggegangen, wie er aus dem Haus getragen  oder wie er gestorben war.

Ich hatte gelernt: Tod heißt: Ein Mensch ist weg, physisch, für immer,  ohne Abschied, einfach so. Er ist weggegangen ohne sich von mir zu verabschieden, ohne dass ich mich von ihm verabschiedet habe.  Die anderen wohl schon aber ich nicht.

Dieses Gefühl ist bis heute geblieben.  Es ist ein schlimmes Gefühl, denn es ist ein Gefühl, dass etwas noch offen ist, es ist nicht zu Ende, der Kreis ist nicht geschlossen. Dieses kleine fehlende Stück Erfahrung,  das Stück, welches den Kreis schließen würde, der gemeinsame Abschied, der die Erlebnisqualität ganz machen würde, bleibt in einer ungelösten Spannung zurück, in mir. Es ist ein Gefühl, als ob man beim 100m Lauf 5 m vor dem Ziel abbricht. Auch wenn ein Abschied schwer und traurig ist, aber in der psychologischen Relevanz der Erlebnisqualität ist er unerlässlich, um die Ganzheit einer zwischenmenschlich emotional nahen Begegnung zu begreifen und in unserem System als „heile und ganz“ abzuspeichern. Anfang und Ende sind zwei Pole einer Entwicklung und einer Erfahrung. Alles in unserem Leben hat einen Anfang und ein Ende. Jede Minute, jedes Konzert, jeder Tag und jede Beziehung.
Wie oft höre ich in meiner Praxis solche oder ähnliche Aussagen: „Wir wollten unseren Sohn in guter Erinnerung behalten und haben ihn deshalb nach dem Unfall nicht mehr sehen wollen.“  Oder „ Ich bin nicht im Krankenhaus geblieben, weil  die Ärzte sagten, ich könne eh nichts für sie tun. Und als ich zu Hause war riefen sie mich an und sagten, sie sei gestorben.“ (allein, im Krankenzimmer).

Welche Gefühle bleiben zurück, wenn man ganz ehrlich zu sich selbst ist? Schuld? Scham? Wut über den anderen, der einfach so weggegangen ist, einen ohne ein Wort verlassen hat, sich nicht verabschiedete, Wut über sich selbst, sich nicht verabschiedet zu haben? Den Abschied zu ignorieren (wenn er möglich gewesen wäre) ist, wie etwas abzureißen, auseinanderzuschneiden, was an dieser Stelle noch nicht vollständig ist, die letzte Sequenz des Filmes auszulassen. Wir fühlen, dass etwas nicht stimmt, bleiben aber in der Spannung stecken.

Noch schlimmer ist es wenn, wenn wir den Tod schon spüren, wissen er ist nah, vielleicht schon im Raum und dennoch ignorieren wir ihn, sagen uns nichtssagende Worte, oder vertrösten uns auf eine Besserung der Symptome und verabreden uns auf morgen. Wir belügen den Sterbenden und uns selbst. Und auch der Sterbende, der oft sicher weiß, dass der Tod schon im Zimmer weilt, versucht uns zu schützen und tröstet die unsicheren Angehörigen.

Sind wir zu feige? das Auf- und Ableben , das Hoch und Tief des Lebens anzunehmen. Ja! wir haben alle Aspekte die mit Tod, Siechtum, Sterben, Ohnmacht zu tun haben, aus unserem Leben verbannt. Wir haben den Tod in die Krankenhäuser ausgelagert und in die Pflegeheime. Dort wird er jetzt verwaltet und bekämpft. Wir haben vergessen, wer der Tod eigentlich ist. Wir wollen ihn nicht sehen, noch berühren, noch erleben. Schon die ersten Fältchen im Gesicht werden verbannt mit teuren Versprechungen einer Kosmetikindustrie. Verfallsprozesse werden ausgebessert, ewige Jugend, Fitness und Jugendkult wird propagiert. Wir können auch nicht mehr unterscheiden, was natürlicher Zerfall oder vorsätzliche Zerstörung unseres Körpers mit Pestizidernährung, Luftverschmutzung, Medikamenten usw. ist. Wir haben längst das Maß des NATÜRLICHEN aufgegeben zu Lasten des KÜNSTLICH MACHBAREN. Und wir sind so stolz darauf. Dabei merken wir nicht, wie wir mehr und mehr uns selbst verlieren.

Auch ich habe damals ein Stück von mir, von meiner Unbekümmertheit, von meiner Lebendigkeit verloren. „Erwachsen werden“ heißt das umgangssprachlich, Realitäten anerkennen. Aber ich denke es ist etwas anderes passiert:  Es ist ein Stück von meiner Seele verschwunden, ein kleines Stück, welches noch heute nach dem Opa sucht, der einfach so weg war, einfach so! – um ihn irgendwo zu finden und  sich zu verabschieden!

Erkennen, versöhnen, verzeihen. Dieser Prozess ist ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit. Nur wenige von uns sind in der Lage, später noch den Kontakt zum Verstorbenen als real zu akzeptieren und den Abschied nachzuholen. Die meisten sind aufgrund ihrer Sozialisation ungläubig oder skeptisch dem Jenseits gegenüber und verpassen so die zweite Chance die Dinge heil zu machen und die Lebendigkeit wieder ins Leben zurück zu holen.  Deshalb appelliere ich an jeden Einzelnen auf seine inneren Gefühle zu achten, sich nicht von äußeren Zwängen beeindrucken zu lassen, wenn es am Ende um Abschied geht und alles zu tun, damit alle, der Sterbende und dessen Angehörigen den Schwellenübertritt ganz und heile beschreiten können und das Ziel des menschlichen Lebens nicht als Abfallprodukt menschlichen Seins zu betrachten, sondern als das was es ist, das große Finale, auf welches der Mensch seit seiner Geburt hin zugelaufen ist. Wenn sterben erwachen in einer andere Realität ist, dann birgt dies die Chance für einen anderen sinnvolleren Umgang mit diesem Phänomen. Aber auch dann wenn Sterben ein absolutes Ende darstellt, ist es sinnvoll diesem einen würdigen Abschied zu ermöglichen.

Aussöhnung, Abschied und Kontakt auf der spirituellen Ebene des Jenseits kann Menschen helfen, die bereit sind sich zu öffnen und einer neuen Erfahrung Raum zu geben, der Erfahrung des Weiterlebens und der Wiedergeburt. Dazu im meinem nächsten Blogbeitrag mehr.

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